Seit über 25 Jahren begleitet ein Porsche 911 Carrera 3,2 in Silberblaumetallic den Alltag von Tobias Kindermann. Im Berufsleben ist er Redakteur in der Lokalredaktion des Fränkischen Tags und hier für die Lokalausgabe Lichtenfels zuständig. Der Fränkische Tag ist eine der fünf Premium-Marken der Mediengruppe Oberfranken und erscheint in sechs Lokalausgaben digital und gedruckt. Hinter dieser Langzeitbeziehung steht eine ungewöhnliche Geschichte. Dieser Porsche hat viel mit seinem Besitzer erlebt und im Heck steckt ein ungewöhnlicher Motor.

                                                                         Der Porsche 911 im Fahrerlager des Nürburgrings vor dem Start zu einer Fahrveranstaltung. Foto: kdm

Von einem Kauf der Vernunft mag man zwar in dem Fall nicht unbedingt sprechen, aber tatsächlich gab es einige rationale Gründe. Seine als Hobby mit einem Bekannten betriebene Motorradwerkstatt wollte er ohnehin aufgeben, zudem war er damals bereits Vater von zwei Söhnen (ein weiterer Sohn und eine Tochter sollten folgen). In dem 1999 bereits zwölf Jahre alten 911 waren sie besser untergebracht als auf einem Motorrad. Der Verkauf der Werkstatt bot die Grundlage, sich den Wagen zuzulegen, von dem er schon lange begeistert war. „Alle meine Kinder sind in dem Auto groß geworden“, sagt er. Um sie sicher zu transportieren, kaufte er einen speziellen Kindersitz und rüstete Dreipunkt-Gurte auf den Rücksitzen nach. Viele Besitzer eines 911 Carrera 3,2 wissen nicht, dass das ohne große Umstände möglich ist. Meist waren alle Plätze im Auto belegt, wenn er unterwegs war.


Julius, der dritte Sohn, wartet vor einem Autoslalom in Fulda
im Jahr 2010 darauf, mit seinem Vater eine Trainingsrunde
zu fahren. Foto: kdm

In den Jahren der Arbeit in der Werkstatt hatte Tobias nicht nur Begeisterung und Liebe zur Technik entwickelt. Er suchte über das Internet Gleichgesinnte, um sich austauschen zu können. In den USA gab es schon große Fach-Foren, nur im Geburtsland der Sportwagen aus Zuffenhausen tat sich noch nichts. Eine kleine Gruppe Enthusiasten änderte das: Tobias wurde 2000 zum Mitgründer und Moderator der ersten deutschsprachigen Internetcommunity „Elferliste“ für den Porsche 911.

Für das Jahrestreffen der Elferliste 2010 in Fulda organisierte Tobias als Instruktor einen Autoslalom, bei dem er auch selber außer Wertung startete. Foto: Lukas Kindermann
Für das Jahrestreffen der Elferliste 2010 in Fulda
organisierte Tobias als Instruktor einen Autoslalom,
bei dem er auch selber außer Wertung startet.
Foto: Lukas Kindermann

Start für eine unabhängige Porsche-Szene

„So etwas wie eine unabhängige Porsche-Szene außerhalb der Clubs gab es damals in Deutschland noch nicht, auch keine Treffen“, erinnert er sich. „Als wir die Idee hatten, so etwas auszurichten, wurden wir ziemlich überrannt.“ Die mehrtägigen Veranstaltungen, zu denen auch Ausfahrten und Motorsport-Wettbewerbe zählten, zogen bis zu 600 Teilnehmer*innen an und waren über Jahre die größten Veranstaltungen dieser Art in Deutschland.


Einmal Scheibe putzen bitte: Vor dem Start wurde
für klare Sicht gesorgt. Foto: Lukas Kindermann

„Ein guter Bekannter, René Halla, der im Management der Maritim-Hotelkette arbeitet, und ich haben die Treffen als Orga-Team auf die Beine gestellt.“ Manchmal musste man einfach etwas unverfroren auftreten: „Einmal habe ich beim Hotel Dorint am Nürburgring angerufen und gefragt, ob ich für ein Wochenende 100 Zimmer reservieren könnte. Die Dame hat am anderen Ende der Telefonleitung erst einmal Luft holen müssen. Wir konnten ja keine Sicherheiten bieten und außerdem kannte uns ja keiner.“


Zu den Treffen der Elferliste kamen bis zu 600
Teilnehmer*innen. Foto: kdm

Vom Fan zum Organisator

Um ohne Clubstrukturen, wenig Manpower und finanzielle Mittel etwas auf die Beine zu stellen, musste man kreativ sein. Tobias lernte, Homepages im Quellcode zu schreiben (Grüße an Stefan Münz), beschäftigte sich mit Datenbanken, um ein automatisiertes Anmeldesystem aufzubauen. „Das waren im Vergleich zu heute natürlich nur sehr simple Projekte.“  Doch die Dame im Dorint war beeindruckt. Als am Abend das System freigeschaltet wurde, hatte sie am nächsten Morgen die ersten 60 verbindlichen Buchungen vorliegen. „Am Ende stockte man unser Kontingent auf über 130 Zimmer auf. Wir hätten noch viel mehr gebrauchen können, die haben sich fast bei uns entschuldigt.“

Ihn reizte es auch, so eine Community zu führen. „Ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen: In ihrem sozialen Verhalten unterscheiden sich Porsche-Fans nicht wirklich von anderen Menschen. Das kann man ja auch mal positiv sehen.“


Aufklebersammlung auf einem Teilnehmerfahrzeug
der Elferliste-Treffen. Foto: kdm

Etwas über zehn Jahre dauerte diese Zeit. „Dann wollte ich etwas anderes versuchen und zog mich aus der Führungsrolle zurück.“ Verlage waren auf ihn zugekommen und wollten ihn als Fachautor zum Thema Porsche 911 gewinnen. Bei einem halben Dutzend Büchern trat er als Co-Autor, Übersetzer oder Editor auf. Er begann außerdem Fachartikel zu schreiben, Technik-Workshops zum Thema Porsche 911 zu organisieren – und entdeckte die Fotografie wieder. „Ich wollte ja auch die Texte illustrieren können.“ In diesem Bereich ist er heute noch aktiv.

Auch eine Technik-Szene fand sich über das Netz zusammen. So lernte er den Besitzer der Firma Cartronic, Thomas Kirchhöfer, kennen. 2004 wurde der silberblaue Porsche 911 zum Entwicklungsfahrzeug für ein Tuning-Kit mit TÜV von Cartronic, Tobias arbeite bei allen Entwicklungsschritten mit, übernahm Fahrversuche, formulierte die Gutachten. „Das war damals der erste legale Umbau dieser Art.“

Die Erfahrungen, die er dabei sammelte, sollten ihm bei weiteren Projekten helfen. 2009 begann er, sich mit frei programmierbaren Motorsteuerungen zu beschäftigen und baute den Motor weiter um. Seit rund vier Jahren fertigt er zusammen mit Franz Gschwendtner aus Pfaffenhofen leistungsgesteigerte 911-Motoren. Gschwendtner besitzt viel Erfahrung in diesem Bereich: Er leitete das Einsatzteam von Müllerbrau, das zwischen 1976 und 1978 mit einem Porsche 911 Carrera 3.0 RS den Gesamtsieg beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring holte, 1978 saß er selber mit am Steuer.


Der Motor wurde zerlegt und neu aufgebaut. Statt
231 PS besitzt er nun 300 PS. Foto: kdm

Eine Passion ohne Kompromisse

„Wir beide haben uns gesagt, jetzt schauen wir mal, was man aus dem Motor herausholen kann.“ Mit der ersten Version waren sie schon recht zufrieden. Aus den 231 PS und 284 Nm waren 290 PS und 330 Nm geworden.  „Dann haben wir angefangen, eigene Motorteile fertigen zu lassen und einige noch einmal deutlich stärker zu modifizieren.“ Im zweiten Anlauf lieferte der Prüfstand Werte von 300 PS und 350 Nm. Das hatte mit dem Konzept noch keiner geschafft.

Super 300 taufte er den Motor. Infos zum Projekt stehen auf seiner Homepage gt-speed.de. „Es hat Spaß gemacht, nach langen Jahren wieder eine Homepage zu bauen. Vorher hatte ich nie mit Word-Press gearbeitet. Auch hier wollte ich alles komplett selber machen, um die volle Kontrolle zu besitzen und vor allem um Neues zu lernen.“


Unter dem Fahrersitz befindet sich die neue
Motorsteuerung. Foto: kdm

Doch ging es nur um Leistung? „Einen Motor stark zu machen, ist im Vergleich zum Rest der Arbeiten nicht einmal so schwer. Weit aufwändiger ist es, ihn alltagstauglich und sparsam hinzubekommen.“ Auf über 100 Stunden summierten sich die Prüfstandsläufe, dazu kamen ausführliche Testfahrten auf der Straße. Um das Umzusetzen eignete sich Tobias Kenntnisse im Umgang mit Motorsteuerungen an, schrieb und modifizierte die Kennfelder teilweise selber.

Umweltfreundlichkeit wichtiger Schwerpunkt

Der Umbau sollte auch nicht zu Lasten der Umwelt gehen, ein Porsche darf sich auch grün geben: „Wir verwenden statt einem sogar zwei großvolumige Katalysatoren und haben das Kennfeld so abgestimmt, dass der Motor so abgasarm wie möglich läuft.“ Dazu musste der Wagen auch einige aufwändige Prüfläufe nach der NEFZ-Norm in einem großen Abgaslabor der Industrie bestehen. „Das war schon ein komisches Gefühl, meinen fast 40 Jahre alten Wagen am Abend vor dem Testlauf in der Halle zwischen den abgedeckten Prototypen der Autohersteller abzustellen.“ Am Ende stimmte nicht nur die Leistung, sondern auch der Verbrauch. Trotz 70 PS mehr liegt er bei gleicher Fahrweise auf identischem Niveau. Der TÜV gab seinen Segen – der Umbau ist sogar H-Kennzeichentauglich.


Franz Gschwendtner bei der Montage der Auspuffanlage.
Links und rechts sitzen zwei großvolumige Katalysatoren,
die für saubere Abgase sorgen. Foto: kdm

Inzwischen wurde der Super 300 nicht nur mehrfach nachgebaut. Die eigenentwickelten Teile kommen auch in anderen Porsche-Motoren zum Einsatz.

Auch in anderen Bereichen betrat Tobias Neuland: „Für einen Technik-Artikel haben wir in Zusammenarbeit mit Pirelli Deutschland Folgen der Alterung von High-Performance-Reifen ermittelt. Das hat vorher erstaunlicherweise noch nie jemand konkret untersucht.“ Auf dem Pirelli-Versuchsgelände in Michelstadt wurde sein Porsche 911 erneut zum Testfahrzeug. Mit dabei: Niko Kessler, Chef der Test-Abteilung des Reifenherstellers, und Dieter Röscheisen, ehemaliger Testingenieur bei Porsche. Röscheisen entwickelte die Neuauflagen der Reifen von Pirelli für klassische Porsche. Das Ergebnis: Die Performance und Grip lassen schon nach rund sechs Jahren deutlich nach. „Viele alte Porsche werden oft sehr wenig bewegt, die Besitzer denken, das Profil ist ja noch gut, also ist der Reifen auch noch gut. Vor allem im Regen ist das ein sehr gefährlicher Irrtum.“

             
Dieter Röscheisen saß am Steuer des Porsche                                             Röscheisen ermittelte, wir groß die
911 beim Handlingstest auf der bewässerten                                                Geschwindigkeitsunterschiede zwischen alten und
Kreisbahn. Foto: Andreas Beyer                                                                        neuen Reifen sind. Foto: Andreas Beyer
          
Niko Kessler ist Testchef bei Pirelli. Er ermittelte die                                   Dieter Röscheisen arbeitete viele Jahre im Fahrversuch
Differenzen beim Bremstest.                                                                             bei Porsche. Foto: Andreas Beyer
Foto: Andreas Beyer

Auch das Fahrwerk wurde angepasst. Seit Jahren begleitet Rallye-Legende Walter Röhrl die Entwicklungsschritte. „Walter mag das Auto sehr. Schon der erste Umbaustand 2009 begeisterte ihn.“ Mit Roland Kussmaul hat auch einer der wichtigsten Ingenieure der Porsche-Geschichte den Umbau getestet. „Er hat mir am Ende ein kleines Lastenheft gemacht, das von Dingen wie Einrückpunkt der Kupplung bis hin zu rennerprobten Befestigungen für Ölleitungen ging.“

Doch ging es nur um Leistung? „Einen Motor stark zu machen, ist im Vergleich zum Rest der Arbeiten nicht einmal so schwer. Weit aufwändiger ist es, ihn alltagstauglich und sparsam hinzubekommen.“ Auf über 100 Stunden summierten sich die Prüfstandsläufe, dazu kamen ausführliche Testfahrten auf der Straße. Um das Umzusetzen eignete sich Tobias Kenntnisse im Umgang mit Motorsteuerungen an, schrieb und modifizierte die Kennfelder teilweise selber.


Auch Walter Röhrl testete den modifizierten Porsche
von Tobias regelmäßig. Foto: kdm

Inspiration für die Arbeit als Redakteur 

Was nimmt man dabei für seine Arbeit als Redakteur mit? „Am Anfang steht natürlich die Neugier. Wie funktioniert das, wie bekommt man das alles zum Laufen. Man muss auf dem Technik-Level viel recherchieren und Experten finden und sich so weit in die Materie einarbeiten, dass man mit den Ingenieuren sachkundig diskutieren kann. Viele technische Lösungen, die am Ende einfach aussahen, diskutierten wir vorher über Tage.“

Und dazu kam der Spaß, das alles auch journalistisch aufzuarbeiten, der Umgang mit Word-Press, Video-Equipment, Schneideprogrammen und Kameratechnik. „Wenn ich sehe, mit welchem Wissen und Engagement sich unsere jungen Kollegen diesen Dingen widmen, wollen wir als langjährige Redakteure nicht wie die Zeitungsdinosaurier dastehen.“

                                                                          Tobias Kindermann. Foto: Adelheid Wagner

Videotipp

2017 produzierten Christian Schöfer, Lukas und Tobias Kindermann einen Film mit Walter Röhl. Der Plott: Tobias hatte in einem Bericht zum 1. April im Fränkischen Tag angekündigt, dass Walter bei der Polizei in Lichtenfels einen Porsche 911 als neues Einsatzfahrzeig vorstellen würde. Der Clou: Walter kam tatsächlich und kehrte zu den Sonderprüfungen der Olympiarallye 1972 im Kreis Lichtenfels zurück, bei der seine internationale Motorsportkarriere begann. Der Film wurde auch mit Walter als Gast auf Bamberger Kurzfilmtagen gezeigt. Hier geht es zum Film.

Den Motor des 911 Carrera Super 300 hat Franz Gschwendter gebaut, der das Team leitete, das 1976, 1977 und 1978 die 24h am Nürburgring gewonnen hat. 1978 saß er selber mit am Steuer. Timo Bernhard hat Tobias den großen Gefallen getan, ein paar Tribute-Runden im Auto auf der Porsche Rennstrecke Leipzig zu drehen. Timo hat die 24h am Nürburgring zwischen 2006 und 2011 fünfmal gewonnen, zweimal die 24h von Le Mans und ist einer der erfolgreichsten Langstreckenpiloten der Welt. Hier geht es zum Film.