Markus Wierl, Geschäftsführer der Agentur EDELWEISS72 und Experte für Online-Marketing, im Interview

EDELWEISS72 Digitalagentur Büro

Seit Ende 2016 komplettiert die Digitalagentur EDELWEISS72 das Leistungsspektrum von mgo360. Geschäftsführer Markus Wierl packte 1997 die Faszination Internet. Als Experte für Online-Marketing führt er Unternehmen in und durch die digitalen Welten. Im exklusiven Interview verrät Wierl, wie ein Unternehmen aufgestellt sein muss, um den digitalen Wandel managen zu können, welche Trends tatsächlich relevant sind – und warum ausgerechnet ein Netzexperte auf Schallplatten schwört.

Herr Wierl, als Geschäftsführer der Digitalagentur EDELWEISS72 sind Sie Spezialist in Sachen Online-Kommunikation. In dieser Funktion beraten Sie Kunden unter anderem zum Thema digitale Transformation. Was sind die großen Herausforderungen, die auf Unternehmen zukommen?

Markus Wierl

Markus Wierl: Eine große Herausforderung besteht darin, zu akzeptieren, dass eine ernst gemeinte digitale Transformation das Unternehmen ganzheitlich betrifft. Wenn vorher viele ihr eigenes Abteilungssüppchen gekocht haben, müssen nun alle Beteiligten an einen Tisch, und die Organisationsstruktur wie auch die technischen Systeme sollten dem neuen, digitalen Prozess angepasst werden. Indirekt bedeutet das auch personelle Umschichtungen oder schlicht den Wegfall bestimmter Funktionen. In der Praxis sind genau diese Punkte häufige Hemmnisse.

Abgesehen davon ist es wichtig zu begreifen, dass digitale Transformation nur mit der Begeisterung aller Mitarbeiter funktioniert. Und die resultiert vorwiegend aus nutzerfreundlichen Interfaces, die einladen statt abschrecken. Viele Resultate digitaler Transformation, die ich gesehen habe, schauen aus wie Windows-2000-Oberflächen, weil allein die IT den Ton angibt und kein Fokus auf den Menschen und das Interaktionsinterface gelegt wurde. Der Siegeszug der Smartphones auf Endverbraucher-Ebene zeigt es: Ganze Lebensbereiche haben sich digitalisiert – der Markt der Bekanntschaften, der Dialog mit Freunden, der Weg von A nach B. Das ging nur so schnell, weil die Oberflächen so einladend und einfach umgesetzt wurden. Deshalb legen wir bei EDELWEISS72 so viel Wert auf Usability und Design – bei aller technischen Finesse im Backend.

Die Digitalisierung ist längst in unserem Alltag angekommen und verändert die Kommunikation in Gesellschaft und Beruf grundlegend. Was sind oder waren Schlüsselmomente dieses digitalen Wandels?

Zu den Schlüsselmomenten zähle ich vor allem die Verbreitung von Smartphones und Tablets, die die Verfügbarkeit digitaler Oberflächen in jeder Lebenslage forciert haben. Damit einhergehend auch die immer professionellere Darstellung von Inhalten und Funktionen auf diesen Endgeräten – Stichwort responsive Webdesign und App-Entwicklung. Zu guter Letzt sicherlich einzelne große Player, die alle in ihren Bann zogen: Facebook, Instagram, Maps, WhatsApp, Streaming-Dienste wie Spotify oder Tidal. Also Angebote, auf die die Menschheit gewartet zu haben scheint, ohne es zu wissen.

Richtig angegangen birgt die Digitalisierung enormes Wachstumspotenzial für Unternehmen und bietet viel Raum für innovative Geschäftsmodelle. Was macht eine gelungene Digitalstrategie aus?

Wie erwähnt ist das harmonische, zielgerichtete Zusammenwirken von Technikern, Designern, Prozessverantwortlichen, Marketing-Strategen sowie den Entscheidern und Geldgebern wichtig. Sobald hier nicht alle an einem Strang ziehen, wird es schwierig. Eine Digitalstrategie ist dann erfolgreich, wenn einem formulierten Business-Ziel alle dafür notwendigen Prozesse, Strukturen und Interaktionen konsequent unterworfen und die resultierenden Maßnahmen geschlossen angegangen werden.

Welche Digitaltrends sollten Unternehmen auf keinen Fall verpassen?

Ich bin generell vorsichtig mit dem Begriff Trend, beziehungsweise trenne ich den Hype vom Trend. Vor vielen Jahren haben Agenturen ihren Kunden empfohlen, auf Second Life zu setzen, das sei der neue Trend und der Aufbruch in die virtuelle Welt. Die ehemalige Geschäftsführung eines großen Kunden wollte ihr Produktprogramm als virtuelle Variante gleich doppelt verkaufen. Wir haben glücklicherweise vor einem Engagement gewarnt und sind erhört worden.

Man sollte zunächst Trends aufgreifen, die sich über einen Anfangshype hinaus und über einen gewissen Zeitraum weiterentwickelt haben: Zum Beispiel die an sich banale Erkenntnis, dass gute, mit Liebe aufbereitete Inhalte die Voraussetzung für gute Rankings bei Suchmaschinen sind. Schaut man sich Webauftritte unter diesem Gesichtspunkt an, gibt es viel Nachholbedarf.

Welcher Trend für wen der richtige ist, gilt es im Einzelfall zu unterscheiden. Einzelne Entwicklungen der letzten Jahre können zumindest zu ersten Aktivitäten einladen. Dazu zähle ich Augmented und Virtual Reality, die Automatisierung der Medienproduktion und digitale Workspaces, also die Vernetzung von Kommunikations-, Wissensmanagement- und Prozess-Software. Inhaltlich geht der Trend weg von SEO-Tricks und hin zu mehr Content. Google wird in Zukunft alle Versuche, Rankings auf „künstliche Art“ nach oben zu treiben, zu unterbinden wissen. Wer dagegen auf hochwertigen Content und seine ansprechende Aufbereitung setzt, hat automatisch auch bei Google nachhaltigen Erfolg.

Der digitale Wandel zieht sich quer durch alle Wirtschaftszweige. In welcher Branche sehen Sie den derzeit größten Aufholbedarf?

Ich denke, dass alle Branchen Aufholbedarf haben, deren Business nicht ohnehin schon auf rein digitalen Prozessen und Services beruht und in den letzten Jahren aufgebaut wurde. Das Taxiunternehmen Uber muss sich bestimmt weniger digitalisieren als eine Rückversicherungsgesellschaft.
Sogar Software-Anbieter haben in Sachen CRM oder digitaler Vertrieb viel Potenzial nach oben, von den Unternehmen der „Old Economy“ wie zum Beispiel Automobilhersteller, Versicherungen, Banken und produzierendes Gewerbe ganz abgesehen. Viele Automobilhersteller sind erst jetzt so langsam in der Lage, ihr Teile- und Zubehörangebot im Rahmen einer E-Commerce-Strategie online abzubilden, wobei viele Ansätze noch nicht zu Ende gedacht worden sind – vor allem in Richtung Händlereinbindung oder Click und Collect.

Welche Risiken oder Fallstricke bringt der digitale Wandel mit sich? 

Ein Fallstrick ist für mich, den alleinigen Segen in den vielen spannenden Zukunftsvisionen zu sehen, ohne darüber nachzudenken, woher man eigentlich kommt und wo die künftige Substanz des jeweiligen Geschäftsmodells liegt. Wenn man sich mit Marketingleitern unterhält, hat man manchmal das Gefühl, sie wollen den ultimativen Raketenantrieb, ohne zu wissen, wohin sie damit fliegen sollen. Und aktuell steht ein Dreirad neben dem Schreibtisch – mit einem Platten im Vorderreifen. Man sollte also zunächst seine digitalen Hausaufgaben machen und beim konkreten Nutzen für das jeweilige Unternehmen bleiben.

Stichwort Multi-Optionsgesellschaft. Inwiefern hat die Digitalisierung das Verbraucherverhalten verändert?

Ich halte die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen für Fluch und Segen zugleich. Nehmen wir die Musikindustrie. Streaming-Dienste sind der Traum eines jeden Musikliebhabers: Sofort zum Erscheinungstermin läuft das neue Album meiner Lieblingsband in allen Räumen auf und ab – zum Flatrate-Tarif. Aber gleichzeitig wird es für Künstler immer schwerer, sich finanziell über Wasser zu halten. Und die Verbraucher verlernen, Musik bewusst zu genießen, da der nächste Song nur einen Touch entfernt ist. Aus diesem Grund besitze ich übrigens einen Plattenspieler.

Die Digitalisierung hat also auch dazu beigetragen, dass die Gesellschaft schneller, rastloser und gehetzter unterwegs ist. Die Allzeit-Verfügbarkeit von Angeboten erzeugt für viele den Druck, ebenfalls allzeit verfügbar zu sein – mit allen Konsequenzen. Daneben wird einem ständig suggeriert, dass es zu allem noch etwas Besseres gibt, das ganz schnell her muss. Insofern ist die Digitalisierung auch für mehr Trennungen, Produktfehlkäufe und ein neues Suchtverhalten verantwortlich.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe die Digitalisierung, die neuen Möglichkeiten und die Vereinfachungen, die sie mit sich bringt. Wie immer kommt es auf die Dosis an.

Wie kann der Handel auf diese Veränderung reagieren?

Der Handel muss sich in Zukunft immer mehr zum Berater und Content-Anbieter entwickeln, um sich zu differenzieren. Denn im Zeitalter von Vergleichsportalen, Suchmaschinendominanz und Schnäppchenjägerei reichen Angebotsbreite und -tiefe, Preis und Adhoc-Lieferung nicht mehr aus, um sich signifikant vom Wettbewerb abzugrenzen. Und die Big Player wie Amazon dominieren dabei ohnehin auf lange Sicht. Wer dagegen sein Angebot mit echten Empfehlungen auflädt, seine Kompetenz demonstriert, bringt hoffentlich immer mehr Kunden dazu, ihn als nachhaltigen Handelspartner und eben Berater zu favorisieren.

Das funktioniert natürlich nur in bestimmten Produktbereichen beziehungsweise Preisklassen. Ich weiß zum Beispiel, dass der Inhaber des „Connaisseur Mailorder“ Versands jede Woche rund 15 Plattenrezensionen selber verfasst, weil er jede Scheibe in seinem Angebot selbst durchhört. Das ist glaubwürdiger als jeder Datenbank-Inhalt, den andere Anbieter lieblos auf die Website kopieren. Deshalb bestelle ich dort bevorzugt. Und vielleicht denken viele Menschen in Zukunft diesbezüglich um.

Viele Pure-Online-Händler zieht es neben ihrem Online-Geschäft zunehmend zurück in die Offline-Welt, heißt in den stationären Handel. Wie passt diese Entwicklung zum digitalen Wandel?

Das passt gut zu meiner persönlichen Philosophie, dass eine gesunde Digital-Analog-Balance zum Erfolg führt. Ich hoffe und bin überzeugt, dass es in Zukunft bei allen digitalen Automatisierungen, bei aller Macht der großen Datentöpfe, auch den menschlichen Faktor brauchen wird, um nachhaltig zu begeistern. Marken werden anfassbar und glaubwürdiger, wenn sie unterschiedliche Touchpoints offerieren. Es heißt also nicht entweder-oder, sondern sowohl-als-auch.
Eine sinnvolle Multichannel-Strategie hängt immer vom jeweiligen Geschäftsmodell ab. Nehmen wir ein Fitness-Studio: Die stationären Studios sind das Brot- und Buttergeschäft. Hinzu könnte aber der Online-Vertrieb eines breiten Sortiments von Energieriegeln und Co. kommen, und zwar zu Mitgliedschaftspreisen auf der Website des Studios. Vielleicht sogar von kleinen Fitness-Geräten für zu Hause, die man im Rahmen der Mitgliedschaft ausleihen kann. Oder die Kooperation mit Fitness-Apps, die das zweimalige Trainingsprogamm im Studio mit kleinen täglichen Übungen am Arbeitsplatz oder zu Hause ergänzen – provisioniert vom App-Anbieter. Und diese Angebote gilt es dann, lokal und regional über SEM, Social Media, aber auch Offline-Kooperationen und Werbemittel zu kommunizieren.

Schon jetzt setzen einige Unternehmen im Kundenservice sogenannte Chatbots ein. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Einmal abgesehen davon, dass ich die Bots im sozialen und politischen Kontext für gefährlich halte, wird diese Technologie nicht der alleinige Heilsbringer sein – zumindest nicht in den nächsten fünf Jahren. Auch hier sollte man differenziert denken: Vielleicht kann man 70 Prozent der Anfragen automatisiert zufriedenstellend beantworten, der Rest muss sehr schnell zum echten Experten geleitet werden, sonst frustriert das die Kunden. Außerdem würde ein Unternehmen schnell als sehr unpersönlich empfunden werden, wenn man alleinig auf eine solche Technologie setzt.

Herr Wierl, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Über EDELWEISS72:

Unser jüngster Agenturzuwachs EDELWEISS72 gehört zu den wichtigsten Digitalagenturen Deutschlands: Das zeigt ein Ranking des namhaften Medienmagazins „kress pro“, in dem die Münchner den zehnten  Rang belegten. Für die Studie hat kress die 100 größten Online-Anbieter (gemessen an der IVW-Reichweite) nach ihren favorisierten Dienstleistern im Digitalumfeld gefragt. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem kleinere und Agenturen mit einem Spezialgebiet auf dem Vormarsch sind.

EDELWEISS72 ist Spezialist in Sachen Online-Kommunikation: Zum Leistungsspektrum der Digitalagentur zählen Websites, Webshops, Intranets oder Portale sowie Content-Management-Pflege und Online-Strategie-Entwicklung. Wir freuen uns gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von EDELWEISS72 und sagen nachträglich „Herzlichen Glückwunsch“!

Über die Autoren:

Andreas Thamm ist Texter bei der Agentur HOCHVIER. Anna Schweinsberg ist Mitarbeiterin im Marketing von mgo360.

Bilder: Diverse, EDELWEISS72